Von Dieter Faustmann
Vor einiger Zeit fiel mir eine Sonderausgabe der Arbeiterfotografie über Horst Sturm in die Hand. Diese Ausgabe erschien zur Verleihung der Ehrenmitgliedschaft Horst Sturms im ‚Bundesverband Arbeiterfotografie‘. Neben den vielen „tollen“ Fotos aus einer Zeit, in der die Gesellschaft irgendwie tatsächlich mehr schwarz und weiss war und sich dies in vorzüglichen Schwarzweissaufnahmen dokumentieren ließ, sind es die vielen Dinge, die Horst Sturm in den eingestreuten, absolut lesenswerten interview zum Besten gibt, die dem Leser auf eine leicht melancholische Art und Weise auch klar machen, dass die großartigen Zeiten dieser Art der Reportagefotografie vorbei sind. Horst Sturm blickt auf eine lange Karriere als Fotograf zurück, oder wie er selbst sagen würde: als Knipser. Über Jahrzehnte war er bei der ILLUS und der deutschen Nachrichtenagentur ADN in der DDR beschäftigt. Somit ist sein Blick für einen Westdeutschen wie mich auch aus eben genau diesem Grund „interessant“, ungewohnt und neu. Einige Bilder kannte ich schon, wusste aber nie, wer der Macher dieser Aufnahmen gewesen ist. Jetzt haben diese Bilder einen Namen.
Man muss sich etwas einfühlen in diese Zeit, in der ein Horst Sturm Bertold Brecht und Helene Weigel auf einem Bild anlässlich des 1 Mai 1954 fotografierte, ebenso, wie man auf einer Aufnahme einen etwas verloren wirkenden Thomas Mann in Begleitung eines DDR-Kultusministers sieht, und wie sich Thomas auf eine etwas Lorioteske Art an einem Blumenstrauß fast festhält (Weimar 1955). Neben vielen Persönlichkeiten, die jenseits des eisernen Vorhangs wirkten, enthält die ansprechende Ausgabe der Arbeiterfotografie auch Bilder des ganz normalen Menschen auf der Straße, echte Straßenfotografie eben.
Ich kenne nicht so wahnsinnig viele Bilder, die auch den Alltag „drüben“ zeigen. Meine erste Reaktion auf solche Bilder, auf denen auch Menschen zu sehen, die die Lachen, wirkt tatsächlich, auch nach über 20 Jahren Mauerfall auf den ersten Blick irritierend. So tief sitzt bei jemanden wie mir noch das Bild der östlichen Welt. Die westliche Berichterstattung zu Zeiten des eisernen Vorhangs, die mich als Kind und junger Mensch im laufe der 1970er und 1980er prägten, sind mit Sicherheit auch noch heute in Spuren in mir enthalten. Natürlich waren auch dort einfach die einfachen Menschen nur Menschen, wie sie es hier im Westen waren, unter welchem politischen Regime auch immer, das sucht man sich nicht aus, in so etwas wird man geboren. Man mag das belächeln, selbstverständlich kann ich das nicht finden.
Neben vielen, wunderbaren Zeitdokumenten in Form von Schwarzweissfotografien enthält diese Sonderausgabe absolut lesenswerte Interviews mit Horst Sturm, der in prägnanten, schnörkellosen Sätzen den Charakter seiner Arbeit verbal wunderbar unterstreicht. 55 Jahre als Fotoreporter unterwegs in 33 Ländern – eine, wie ich finde, beeindruckende Lebensleistung. Jeden Tag hat er fotografiert, keine schlechte Bilanz für jemanden, der zum Einstieg in diesen Beruf statt einer fotografischen Ausbildung nur 8 Jahre Volksschule nachweisen konnte. So ein Lebensweg ist heute sicherlich so nicht mehr möglich, aber es waren damals auch andere Zeiten als heute.
Neben vielen, tollen historischen und politischen Aufnahmen in schwarzweiss finden sich lesenswerte Interviews, das Ganze garniert mit original Zeitungsabdrucken von Artikeln, die mit Fotos von Horst Sturm veröffentlicht wurden. Und ja, eine Aufnahme von Che Guevara ist auch dabei. Wenn Sie diese Sonderausgabe noch am Bahnhof vorfinden sollten, greifen Sie zu, es lohnt sich. Viele Fotos mit viel Text zu einem absolut akzeptablen Preis. Horst Sturm, Sonderausgabe zur Verleihung der Ehrenmitgliedschaft Erschienen im Erich Weiß Verlag, Bamberg 12 Euro