Shikoti is calling (Kenia – Part III)

 

Es ist Montag morgen. Etwas früher als gewöhnlich sind wir auf den Beinen, um der Schule einen zumindest vorerst letzten Besuch abzustatten. Die ganze Nacht hindurch hatte es teilweise stark geregnet und der Weg zur Schule ist entsprechend matschig und mit Pfützen übersät. Als wir im Schulhof ankommen, sind mal wieder fast alle Kinder draußen. Es hat sich mir bis heute nicht ganz erschlossen, daß in allen Schulen, die ich in Kenya besucht habe, die Kinder eigentlich mehr draußen als drinnen sind. Nun ja, das ist halt so. Martin hat seine Kamera noch im Rucksack verborgen, dadurch stürzen nicht gleich alle Kinder direkt auf uns zu. Der Anblick einer Kamera löst hier jedes Mal einen Massenansturm aus.

Heute ist der Tag, an dem die auserwählten 16 Kinder, die eine Brieffreundschaft mit deutschen Kindern beginnen, fotografiert werden sollen. Alles ist schon weitgehend vorbereitet, wir müssen nur noch den Platz auswählen, an dem wir die Porträts am besten machen können. Wir entscheiden uns für einen grünen Hintergrund und da bietet sich eines der kleinen Maisfelder an. Schnell ist ein kleiner Tisch herbeigeschafft, auf dem wir uns mit unserem Papierkram und den Ausrüstungsgegenständen ausbreiten können.

So allmählich kommen auch die 16 Kinder zusammen – nein, es sind nur 15. Eines mußte leider noch mal nach Hause zurücklaufen, weil es eines seiner Bücher vergessen hat. Aber es wird in Kürze zurück sein. Wir fangen also schon mal an. Unsere größte Sorge ist es, daß wir die Unterlagen der Kinder mit den Fotos vertauschen könnten. Daher wird alles nach dem System der doppelten Buchführung schriftlich in zwei Listen festgehalten.

Schnell stellt sich heraus, daß die Jungs sich offenbar gerne fotografieren lassen und sich ohne großes Zutun unsererseits sofort lächelnd bis grinsend präsentieren. Läuft prima! Bei den Mädchen müssen wir allerdings oft etwas nachhelfen. Sie sind größtenteils etwas scheu vor der Kamera und mein Freund und afrikanischer Bruder Ludo und ich hampeln etwas grotesk in der Gegend herum, um sie zum Lachen zu bringen. Meistens gelingt es, leider nicht bei allen.

Wenn ein Bild fertig ist, werden sofort erst mal die Unterlagen sortiert (doppelte Buchführung) und das Kind wird von mir nach dem Namen des deutschen Freundes oder der deutschen Freundin gefragt. Die Antwort ist immer richtig. „Rafiki yangu inaitwa Steffen“ (Mein Freund heisst Steffen). Keiner hat den Namen seines Freundes vergessen. Das freut mich. Im Einzelfall wird die Aussprache noch mal ein bißchen korrigiert, aber sonst ist alles o.k.

Am Ende gibt es noch ein Gruppenfoto mit allen Kindern und dem Lehrer George. George ziert sich etwas, weil er keinen schönen Anzug angezogen hat, aber das können wir jetzt leider nicht mehr berücksichtigen. Mein T-Shirt ist auch kaputt.

Dann haben wir es geschafft. Da alle Kinder noch so schön beisammen sind, nutze ich noch mal die Gelegenheit, mich bei Ihnen zu bedanken, daß sie alles so schön mitgemacht haben und erkläre Ihnen, daß wir die Briefe und Bilder nun mit nach Deutschland nehmen, wo schon alle gespannt sind, wer nun welche Freundin oder Freund bekommt. Dann dürfen oder müssen alle in den Unterricht zurück. Die Aufregung ist vorbei und überstanden.

Wir wechseln noch ein paar Worte mit George und machen uns wieder auf den Heimweg. In 4 Tagen werden wir Kenya verlassen und in Deutschland das gesammelte Material präsentieren. Wir sind gespannt, wie sich die Freundschaft der Kinder und die Zusammenarbeit der Schulen untereinander entwickeln wird.

Text: Dirk Sültrop
Fotos: Martin Neumann

Shikoti is calling (Kenia – Part II)

Wir sind gerade auf dem Weg zur Schule, um unseren ersten Besuch abzustatten. Ich frage mich gerade, wer wohl im Moment aufgeregter ist. Wir, die wir noch nicht genau wissen, was uns erwartet, oder unsere Gastgeber, die gespannt sind, wer da heute kommt. Wir haben uns etwas verspätet, aber in Kenia sieht man nicht ständig auf die Uhr. Wir erreichen die Schule und die ersten neugierigen Augenpaare richten sich auf uns. Man bittet uns kurz in die Bibliothek, um zu warten, bis draußen auf dem Schulhof alles für den Empfang arrangiert werden konnte. Als wir rauskommen stehen alle 1000 Schüler in einem fast geschlossenen Kreis. Ich staune über das hohe Maß an Disziplin. Es ist tatsächlich fast vollkommen still im Moment.

Der Rektor der Schule ist leider erkrankt und wird von einem der Senior-teacher vertreten. Kurz erklärt er den Schülern, was heute für eine besonderer Tag ist und warum wir gekommen sind. Als er fragt, wieviel Kinder eine Brieffreundschaft mit einem deutschen Kind wünschen, heben natürlich alle die Hand. Na ja, das war zu erwarten. Leider haben wir für den Anfang erst mal nur 16 Kinder aus Deutschland. Nach ihm sagt der Chairman (Vorsitzender des Schulausschusses) noch ein paar Worte und dann hat der Pastor seinen Auftritt. Seine Rede an die Schüler ist eine gute Mischung aus liebevoller Fürsorge und unnachgiebiger Strenge. Man spürt in jeder Sekunde, daß er einer der höchsten Respektspersonen in dieser Gegend ist.

Ich bin lange genug in Kenia, um zu wissen, daß jetzt mein Auftritt folgen wird. Und dann rufen auch schon alle im Chor „Mgeni njoo, mgeni njoo“, was so viel heißt wie: „Komm, Gast, sag uns was“. Noch in dem Moment, als ich das thronartige Steingebilde in der Mitte des Hofes besteige, überlege ich, ob ich meine Begrüßungsrede nun in englisch oder suaheli halten soll. Englisch würde die Bedeutung des ausländischen Besuches wohl verstärken, ist mir allerdings nicht so geläufig. Was ich genau sagen soll, weiß ich eigentlich sowieso noch nicht. Aber als ich mich zu den Schülern umdrehe und ausgerechnet in die gespannten Augen der Allerkleinsten schaue, kommen meine Worte ganz allein in Suaheli. Sie würden mich ja sonst gar nicht verstehen, da sie erst ab der dritten Klasse überhaupt englisch lernen.

Nachdem auch Martin noch ein paar Begrüßungsworte gesagt hat, kommt noch mal der Pastor an die Reihe. Er läßt alle Kinder ein Begrüßungslied anstimmen. Danach haben die Kleinsten aus der Nursery school Gelegenheit, den Gästen aus Deutschland die Hand zu schütteln. Binnen kurzen stehe ich in einem Pulk aus Kindern und kann nur noch wahllos nach den ausgestreckten Händen greifen. Es sind einfach zu viele.

Danach ziehen sich die Kinder in ihre Unterrichtsklassen zurück und wir beginnen unter der Führung des Pastors und des Senior-Teachers einen kleinen Rundgang über das Gelände und in einige Klassenräume.


Ein Teil des praktischen Unterrichts  ist der Anbau von Mais.


7 Toiletten für über 1000 Schüler.


Hier entsteht ein Kindergarten.


Einmal am Tag bekommen die kleinsten der Schule eine Portion Porridge.


Schulpause.


Um mehr Ruhe zum Lernen zu haben, bringen die Schüler manchmal ihren Tisch nach draußen.

Ganz besonders freut es uns, daß es in der Schule einen Raum gibt, in dem behinderte Kinder separat unterrichtet werden, aber nicht ausgegrenzt, sondern eben zusammen mit den anderen Kindern in einer Schule. Ihr Lehrer ist selbst stark sehbehindert, fast blind. Die Blinden lernen hier die Brailleschrift und Kinder mit Lernschwierigkeiten werden hier besonders gefördert. Da sie mit den anderen Kindern zusammen diese Schule besuchen, lernen die gesunden Kinder, mit den Behinderten umzugehen und ihre speziellen Bedürfnisse zu berücksichtigen. So viel wie möglich sind die Kinder aber zusammen in einer Klasse und die behinderten Kinder gehen nur für spezielle Übungen in den separaten Raum.


Dies ist die Gruppe der körperlich Behinderten.


Ein blinder Junge versucht, Zahlen an die passende Stelle zu setzen.


Ein ebenfalls blinder Junge setzt die menschlichen Körperteile zusammen.

Es ist ein interessanter Rundgang und wir finden wenig von dem, was wir von deutschen Schulen kennen. Der letzte Teil unseres heutigen Besuches ist einem Treffen mit den Lehrern gewidmet, wozu wir uns wieder in der Bibliothek einfinden. Jeder der anwesenden Lehrer stellt sich vor und nennt die Klassen und Fächer, die er oder sie unterrichtet.

Die Neugierde des Kollegiums bezüglich der Zusammenarbeit der Schulen und der Brieffreundschaften ist gross und es werden noch eine Menge Fragen gestellt. Bei der Gelegenheit überreiche ich dann auch gleich die Unterlagen aus Deutschland und die Briefe der deutschen Kinder, damit die Suche nach den kenianischen Freunden möglichst bald beginnen kann. Die Fotos aus der deutschen Schule und von den deutschen Kollegen finden großes Interesse und alle freuen sich auf einen guten Kontakt und eine fruchtbare Zusammenarbeit. Eine Lehrerin fragte sogar, ob sie denn selber auch eine Brieffreundschaft mit einer der Lehrerinnen in Deutschland haben darf.

Wir verlassen die Schule mit dem guten Gefühl, daß der erste und wichtige Schritt für eine Annäherung dieser beiden so unterschiedlichen Schulen in Kenia und Deutschland heute getan wurde.

Montag geht’s weiter.

Zum Schluss geben wir dem Rektor der Schule das Wort:

Text: Dirk Sültrop
Bilder: Martin Neumann

Shikoti is calling (Kenia – Part I )

Es ist Samstag morgen. Ich glaube, halb zehn. Eine Uhr habe ich nicht. Brauche ich hier auch nicht. Draußen zwitschern die Vögel und einer von ihnen klingt sogar wie ein Uhu. Ein Hahn kräht in unterschiedlichen Intervallen und die Kuh hinter unserem Haus macht sich auch nicht die Mühe, den Lärmpegel unten zu halten. Das laute Zirpen der Zikaden, welche sich gestern abend wirklich allergrößte Mühe gaben, uns am Einschlafen zu hindern, ist allerdings verstummt. Vor unserer Tür höre ich, wie jemand den Hof fegt, auf welchem Kinder spielen und lachen. Stimmen aus dem Nachbarzimmer kann ich ebenso hören. Alle scheinen schon auf den Beinen zu sein. Nur wir noch nicht. Aber das ist auch kein Wunder nach einer fast 26-stündigen Reise, denn wir befinden uns nicht auf einem abgelegenen Bauernhof irgendwo in den Alpen, sondern im Westen Kenias – im Dorf Shikoti, in der Nähe des Viktoriasees.

Die folgenden Bilder entstanden auf der Fahrt von Kisumu nach Kakamega.


 


 


 



Auf dem Weg nach Shikoti gabs zwei Kilometer vor dem Ziel leider eine Reifenpanne. Allerdings sind die Menschen in sowas hier sehr geübt und innerhalb von 10 Minuten war das Problem beseitigt.


Die letzten Meter legten wir dann zu Fuß zurück wobei wir tatkräftige Hilfe von einem Teil unserer Familie erhielten.


Folgender Blick bot sich uns nachdem wir angekommen sind.


Dirks Haus. Unser Domizil für die nächsten 2 Wochen.


Unsere Dusche.


Unsere Toilette.

Für mich ist es die erste Reise nach Afrika. Für meinen Arbeitskollegen und Reisebegleiter Dirk ist das hier bereits Alltag. Er besucht Afrika seit bereits mehr als 20 Jahren und kennt Land und Leute sehr gut. Er spricht zudem fließend Suaheli (die Landessprache). Ohne ihn wäre ich hier ziemlich aufgeschmissen. Viele Menschen sprechen hier zwar Englisch und können mich auch verstehen aber mit Dirk an meiner Seite kann ich mich Ihnen auf eine ganze andere Art und Weise nähern. Speziell auch der 20-köpfigen Familie bei der wir wohnen. Sie bezeichnen mich bereits als Bruder und sehen mich als Teil der Familie an. Ein paar Kinder sind zwar noch etwas schüchtern und beäugen mich aus der Ferne und grinsen dabei, aber ich denke das wird sich in den kommenden zwei Wochen noch legen.


Hier in Kenia wird es bereits sehr zeitig dunkel. Gegen 19Uhr setzt die Nacht ein.

Das Essen hier ist fantastisch. Am ersten Abend gab es Pommes mit Hühnchen. Das Hühnchen wurde natürlich eigenhändig geschlachtet und die Pommes aus Kartoffeln geschnitten. Für mich gab es dazu ein Omlette, da ich Vegetarier bin. Gekocht wird hier über einer offenen Feuerstelle in einem seperaten Kochhaus. Eine Abzugshaube gibt es nicht. Der Rauch steigt an die Zimmerdecke und sucht sich seinen Weg aus den Löchern des Wellblechdaches. Atmen kann man nur unten am Boden. Da es am Abend hier relativ kühl wird (10-15 Grad) ist dies der wärmste Raum. Viele Kinder sitzen mit in der Küche und schauen den Frauen beim Zubereiten zu.


Caterine ruht sich für eine Sekunde in der Küche aus.


Caterine und Celestine bereiten  jeden Abend zusammen das Essen für die Familie zu.


Die Kinder schauen ihren Müttern beim Zubereiten über die Schulter.


Mein erstes Abendessen. Unglaublich lecker.

Die Frauen übernehmen hier in der kenianischen Gesellschaft einen unverzichtbaren Wert. Sie sind für alle häuslichen Dinge zuständig. Wäsche waschen, Kühe melken, Essen zubereiten, Tiere schlachten, Wasser holen, den Kindern nachräumen bzw. sich um die Kinder kümmern usw usw. Eine wirkliche Mammutaufgabe die es Tag für Tag zu bewältigen gilt.
Der Mann ist hingehen dafür zuständig, das Geld für den Haushalt zu erwirtschaften. Im Falle unserer Familie sorgt Harun, der Älteste (53Jahre) dafür. Er verkauft Ziegel bzw. Backsteine, die er selbst aus einer schlammigen Masse, welche er seinem Boden entnimmt, formt und brennt. 5-6 Schilling erhält er für einen Ziegel, das sind umgerechnet rund 4-5 Cent. Davon allein kann er aber die Familie nicht ernähren. Auf seinem Grundstück baut er deswegen noch Zuckerrohr an, welches den meisten Gewinn bringt. Einen kleinen Fischteich hat er sich auch noch angelegt um Fische an die Nachbarn verkaufen zu können.


Harun füttert die Fische.

Harun baut nebenbei aber auch noch Süßkartoffeln, Mangold, Bohnen, Yamwurzeln, Avocados und Mangos für den Eigenverbrauch an. Die Bedingungen für Landwirtschaft sind in dieser Gegend sehr gut. Zwei Ernten im Jahr sind möglich. Allerdings ist dies sehr wetterabhängig. Regnet es zu viel, verfault die Ernte, regnet es zu wenig, vertrocknet das meiste. Der Klimawandel hat auch hier seine Spuren hinterlassen. Während man sich noch vor zwei Generationen auf regelmäßige Regen- und Trockenzeiten einstellen konnte, ist dies nun sehr unbeständig geworden. Allerdings weiß unsere Familie damit umzugehen und schafft es meistens alle zu ernähren.


Unsere kleine Farm. Links von der Kuh werden Bananen und Süßkartoffeln angebaut. Rechts von ihr wird in großen Mengen Zuckerrohr angebaut.


Haruns Grundstück nach hinten raus.


Mondaufgang auf kenianische Art.


Fast täglich kann man am Himmel ein kleines Wetterleuchten vom Viktoriasee sehen.

Über die Jahre hinweg und durch seine regelmäßigen Besuche wurde Dirk zu einem Teil der Familie und beide Seiten wussten diese Verbindung zu schätzen.
Dieses mal ist Dirk jedoch hier, um einer vor der Schließung bedrohten Schule zu helfen. Es handelt sich dabei um die Shikoti Primary School (1. – 8. Klasse), welche vom Staat kaum noch Geld bekommt und nun nur noch von der örtlichen Kirche etwas Unterstützung erhält. Dirk will einen Schüleraustausch zwischen einer deutschen Schule in der Lüneburger Heide und dieser kenianischen Schule einrichten. Mit Hilfe dieses Projektes erhofft er sich eventuell Fördergelder in Deutschland akquirieren zu können welche zum einen Teil der Schule in Deutschland aber vor allem auch in Kenia zu Gute kommen, denn ein Wegfall der Schule würde dazu führen, dass die Kinder jeden Tag einen Weg von 10km in die nächst größere Stadt Kakamega auf sich nehmen müssten. Ich begleite Dirk dabei fotografisch. Am Mittwoch werden wir erstmals in die Schule gehen, um die Kinder kennenzulernen, aber auch um uns ein Bild vom Innenleben der Schule zu machen. Wir werden Interviews mit den Verantwortlichen führen und Bilder von einzelnen Kindern machen, um so einen Steckbrief für jedes Kind anfertigen zu können, welchen wir dann den Kindern in Deutschland zeigen werden. Wir können es kaum erwarten, zu beginnen.


Erste Ortsbesichtigung. Dirk, Harun und Ludo stehen vor dem Eingang der Shikoti Primary School. Am Mittwoch wird hier unsere Arbeit starten.

 
Zu den Personen:


Dirk Sültrop
– 52 Jahre alt
– Buchhalter bei Enjoyyourcamera.com


Martin Neumann
– 25 Jahre alt
– Technik Support bei Enjoyyourcamera.com
– Student an der FH Hannover im Bereich Fotojournalismus und Dokumentarfotografie

 

Wir bedanken uns bei unserem Chef Ingo noch mal für die finanzielle Unterstützung.